Festvortrag „Leichtathletik im Aufbruch“

  02.11.2013    BLV
DLV-Präsident Dr. Clemens Prokop anlässlich des Festaktes zum 20. BLV-Verbandstag am 05.10.2013 in Zell a.H.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen,

vielen Dank für die Einladung zu Ihrem heutigen Verbandstag.
Als mich vor vielen Monaten Philipp Krämer auf diesen Verbandstag angesprochen hat, bin ich eigentlich davon ausgegangen, dass er nach dem Verbandstag des DLV stattfinden würde.
Aber nun war der LV Baden wieder einmal schneller als der DLV – ein Umstand, der bei der sportlichen Tradition von Baden eigentlich kein Wunder ist. Schnelle Läufer waren hier schon immer ein Markenzeichen, ich denke nur an Heinz Fütterer, Carl Kaufmann, Herbert Steffny, Carolin Nytra, Verena Sailer und Matthias Bühler. Aber auch in den technischen Disziplinen glänzt Baden inzwischen, wobei natürlich am hellsten die frischgebackene Speerwurfweltmeisterin Christina Obergföll leuchtet. Angesichts dieser Tradition und der jüngsten sportlichen Erfolge ist es für mich eine besondere Ehre, heute bei Ihrem Verbandstag sein zu dürfen.

Ein Verbandstag erfüllt immer mehrere Funktionen: zunächst gilt es natürlich, den formellen vereinsrechtlichen Vorgaben gerecht zu werden. Darüber hinaus richtet sich der Blick sowohl zurück als auch voraus. Der Verbandstag wird so zur Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, er beschreibt damit den aktuellen Zustand des anvertrauten Gutes, der Leichtathletik, und stellt die Weichen für die weiteren Entwicklungen. Verbandstage haben daher im Leben der deutschen Leichtathletik regelmäßig eine bedeutende Rolle gespielt. Oft enthielten sie wegweisende inhaltliche Entscheidungen, manchmal ergaben sich auch „nur“ aus Personal-entscheidungen inhaltliche Akzentverschiebungen. Der Verbandstag ist aber auf diese Weise immer ein Ort, an dem die Perspektiven unseres Sports reflektiert werden müssen.

Aus diesem Grund möchte ich heute mit ihnen über die notwendige und mögliche Entwicklung der Leichtathletik nachdenken. Und ich möchte diese Entwicklung unter das Thema stellen „ Leichtathletik im Aufbruch“.
Auf den ersten Blick scheint es am Ende des Jahres 2013 eine Selbstverständlichkeit zu sein, von einem Aufbruch der Leichtathletik zu sprechen.  Wenn wir an die aktuelle Situation der Leichtathletik denken, dann fallen uns wahrscheinlich vor allem die Bilder von der Europameisterschaft in Helsinki, den Olympischen Spielen in London und der Weltmeisterschaft in Moskau ein.
Bei diesen bedeutendsten Veranstaltungen haben die deutschen Leichtathleten überragend abgeschnitten, die deutschen Athleten haben sich sowohl sportlich erfolgreich als auch sympathisch präsentiert und unserer Sportart Anerkennung und Glanz verliehen. Nach einigen Jahren, in denen die Leistungsfähigkeit der deutschen Leichtathletik eher kritisch von der Öffentlichkeit bewertet wurde, kann ich heute selbstbewusst feststellen: wir sind als Sportart wieder da! Wir haben wieder die über viele Jahre vermissten Idole, wir werden wieder als spannende und erfolgreiche Sportart in Deutschland wahrgenommen. Steigende Übertragungszeiten im Fernsehen, verbunden mit mehr als zufriedenstellenden Einschaltquoten, sind eine fast logische Begleiterscheinung dieser Entwicklung, ebenso wie eine stabile Sponsorensituation und  - in den letzten Jahren – deutlich gestiegene Mitteln aus der staatlichen Sportförderung.

Angesichts dieser Entwicklung stellt sich eigentlich die Frage: brauchen wir noch einen Aufbruch, wenn sich die Leichtathletik in so vielen Parametern so erfolgreich präsentiert?
Bei näherer Betrachtung besteht jedoch kein Anlass für Übermut oder Rauschgefühle des Erfolges. Wir alle wissen, dass diese wohltuenden Erfahrungen nur die eine Seite der Medaille sind, eine glänzende zwar, aber eben nur eine Seite. Daneben stehen viele Erfahrungen aus unserem Alltag, die uns Sorgen bereiten, von den Finanzierungsproblemen der Vereine beginnend über den Mangel an qualifizierten Trainern bis hin zu einem Meetingsterben in den letzten Jahren.
Dementsprechend ist seit vielen Jahren der Begriff der Krise ein ständiger Begleiter der deutschen Leichtathletik. Schon 1962 beklagte die Stuttgarter Zeitung die nachlassende Anziehungskraft der Leichtathletik sowie den monotonen Ablauf in den Stadien. Und mein Amtsvorgänger Prof. Digel begann seinen Festvortrag anlässlich des DLV Verbandstages 1989 mit den Worten: „Krise ohne Ende, sportlich ist kein Ende der Talfahrt in Sicht – so lautet die vorschnelle Vermutung einer allzu oft vorlauten Presse über die Leichtathletik“.  Seitdem hat sich viel in unserer Gesellschaft, aber auch in der deutschen Leichtathletik verändert. Geblieben ist aber, mit veränderten Vorzeichen das Gespenst der Krise.
 
In einem Beitrag zum DLV-Kongress 2013 beklagt Prof Digel, dass die Attraktivität unserer Sportart für Jugendliche immer geringer zu werden scheint, dass die Faktoren Talentsuche und Talentförderung, Kampfrichter, Wettkampfstruktur, Sportstätten teilweise krisenhafte Tendenzen aufweisen würden und angesichts der Sportartenvielfalt ein gesteigerter Beitrag des Erziehungssystems zugunsten der Leichtathletik eher unwahrscheinlich wäre.
Zu einem tendenziell abweichenden Ergebnis kommt Flatau in seiner empirischen Untersuchung „Die Entwicklung der Leichtathletikvereine – eine kritische empirische Analyse zur Krise der Leichtathletik“.
Die von ihm durchgeführten Leitfadeninterviews bei Trainern, Funktionären und Schullehrern zeichnen  allerdings ebenfalls das Bild eines manifesten Krisen-bewusstseins in der Leichtathletikszene. So wird von dem befragten Personenkreis ein deutlicher Rückgang der Leichtathletikorganisationen ebenso wie ein deutlicher Mitgliederrückgang bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert „Früher haben da 30 Kinder in der Gruppe gestanden und heute sind es halt noch 10 ...“ oder “Jugendliche zu finden, ist in der Leichtathletik besonders schwer, weil gegenüber den Ballsportarten das Spielerische fehlt „ ...
Fast durchweg negativ äußert sich der befragte Personenkreis zu der Situation der Leichtathletik im Rahmen des Schulsports: “Die Quantität geht gegen Null und die Qualität ist erschreckend. Das, was sie an Leichtathletik vermitteln in den Schulen, ist Runden rennen“. Besonders spannend ist eine von Flatau beschriebene Gruppendiskussion mit Experten der Leichtathletik, die sich mit fortschreitender Dauer der Diskussion zu einer gegenseitigen Krisenbestätigung, insbesondere zu folgenden Bereichen entwickelt:

- der Krise der Spitzenleichtathletik im internationalen Vergleich
- dem Problem der Konkurrenz durch moderne Trendsportarten
- dem Problem der vereinsunabhängigen Organisation der Laufbewegung
- und der Degradierung der Leichtathletik zur Bedeutungslosigkeit im Rahmen des  Schulsports

Ich kann mir vorstellen, dass bei einer Diskussion hier im Saal wohl oft diese oder ähnliche Krisenszenarien beschrieben würden. Umso erstaunlich ist, dass die empirischen Befunde von Flatau in deutlichem Widerspruch zu diesem Krisenbewusstsein stehen. Nach seinen Untersuchungen ist

- die durchschnittliche Mitgliederzahl in Leichtathletikorganisationen im Wesentlichen im letzten Jahrzehnt gleichgeblieben, was im Bereich der Kinder und Jugendlichen angesichts des demographischen Wandels in der Gesellschaft faktisch bedeutet, dass sich deren Anteil an der Gesamtbevölkerung sogar erhöht hat
- die Konkurrenz durch andere, nicht Leichtathletik anbietende Sportorganisa-tionen nicht zugenommen hat
- und die Zahl der Trainer und Übungsleiter in Leichtathletikorganisationen statistisch sogar zugenommen hat.

Was bedeutet diese empirische Untersuchung für unsere Situation? Können wir uns zurücklehnen und entspannt den Krisendiskussionen lauschen?
Sicherlich nicht.
Die empirische Untersuchung von Flatau macht Mut, sie zeigt an Hand von Fakten auf, dass die Leichtathletik trotz einer jahrzehntelangen Krisendiskussion auch an der Basis unverdrossen lebendig ist. Aber natürlich müssen wir auch die beispielhaft von Prof. Digel aufgezeigten Gefahren ernst nehmen, die den unmittelbaren Erfahrungen vieler von uns entsprechen. Die Leichtathletik muss sich deshalb immer wieder neu den veränderten gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen, sie muss immer wieder von neuem aufbrechen.
Dabei müssen wir unser immer bewusst sein, dass wir einen Schatz hüten. Leichtathletik als Sport bedeutet, dass Menschen ihre motorischen Grundfähigkeiten Laufen, Springen, Werfen zu verbessern suchen. Leichtathletik ist  die Perfek-tionierung des menschlichen Bewegungsverhaltens auf der Basis von Leistungs-bereitschaft und Wettkampf. Leichtathletik ist damit die Urform des Sports schlechthin, oder anders formuliert: wir sind das Original.

Aber es geht in der Leichtathletik nicht nur um die Erzielung außergewöhnlicher individueller Leistungen. Kennzeichnend für die Leichtathletik ist auch, dass es ihr darum geht, freiwillig und langfristig etwas zu lernen, sich anzustrengen und sich zu überwinden, sich mit Anweisungen von Trainern und Übungsleitern auseinanderzusetzen und sich auf der Basis von Regeln mit anderen zu vergleichen. Aufgrund der Vermittlung dieser Fähigkeiten ist die Leichtathletik ein bedeutsamer Inhalt der Bewegungs- und Sportkultur unserer Gesellschaft. Wer sich diesen Herausforderungen der Leichtathletik stellt, wird vor allem eine pädagogisch besonders wertvolle Erfahrung machen: die Erfahrung der Steigerung der individuellen Leistungsfähigkeit durch Training. Das Erleben dieses Erfolges vermittelt mehr als nur die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, es vermittelt vor allem das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten. Leichtathletik verleiht auf diese Weise Lebenskompetenz auch außerhalb des rein sportlichen Bereichs. Berücksichtigt man nun noch die Grundprinzipien unseres Wettkampfsystems – Fair Play, Chancengleichheit und objektive Vergleichbarkeit der Leistungen – so ergibt sich, dass durch und in der Leichtathletik die gesellschaftlichen Werte und Normen unserer modernen Industriekultur deutlicher sichtbar und erlebbarer sind als anderswo. Oder anders formuliert: die durch die Leichtathletik vermittelten Erfahrungen und Werte stellen eine kulturellen Schatz dar, den wir zu hüten und zu vermitteln aufgerufen sind.
Dieses stete Vermitteln wird aber nur gelingen, wenn wir auch immer wieder erneut aufbrechen. Dies ist leicht abstrakt gesagt. Was bedeutet dies aber nun ganz konkret?

Laut Duden bedeutet „Aufbrechen“ sowohl ein geistiges Erwachen und ein Sich Erheben als auch Anstreben neuer Ziele und Orte. Umgelegt auf unsere Situation bedeutet daher „Leichtathletik im Aufbruch“, dass wir den Mut zu Reformen haben, dass wir unsere Strukturen und Präsentationsformen den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen und unseren zeitlosen Werten und Inhalten immer wieder neue Attraktivität verleihen. Auf der Basis dieses Selbstverständnisses ergeben sich einige beispielhafte Herausforderungen :

  1. Die deutsche Leichtathletik ist und muss Volkssport bleiben
    Wenn wir unsere Aufgabe als Hüter eines Kulturgutes ernst nehmen, dann müssen wir auch den Anspruch erheben, Volkssport zu sein. Als Randsportart, die sich in einige Zentren zurückzieht, würden wir nicht unserer Aufgabe gerecht, Grundfähigkeiten und Grundkompetenzen zu vermitteln. Dies bedeutet, dass es unser Anspruch sein muss, jedem Bürger, jedem Talent einen Leichtathletikverein bzw. ein leichtathletisches Training mit zumutbarem zeitlichem Aufwand als Angebot zur Verfügung zu stellen. Um dies zu erreichen, muss in einer geographischen Strukturanalyse festgestellt werden, wie weit heute tatsächlich noch Leichtathletik als Sportangebot verbreitet ist. Soweit „weiße“ Flecken auf der Landkarte der Leichtathletik entstanden sein sollten, gilt es, diese gezielt und mit Kreativität zu beseitigen. Dabei sollten wir nicht auf das zufällige Auftauchen von Idealisten vor Ort warten, sondern bei Bedarf eine entsprechende Initiative starten, um die Lücken zu schließen. Letztlich kann dies nur „bottom up“ erfolgen, d.h. wir beginnen auf der Ebene der Kreise und versuchen hier, evtl. bestehende Lücken in der „Leichtathletik-Versorgung“ Schritt für Schritt zu schließen.
  2. Der Leichtathletikverein ist die zentrale Anlaufstation
    Dem Verein kommt gerade bei der künftigen Entwicklung der Leichtathletik eine zentrale Bedeutung bei. Hier entscheidet sich, ob ein Talent den Weg zur Leichtathletik findet und ihn langfristig beschreitet. Dies hat mehrere Konsequenzen. Zunächst müssen wir im Rahmen einer kontinuierlichen Qualifizierungsoffensive den Trainern und Übungsleitern in den Vereinen die Möglichkeit zur kontinuierlichen Fortbildung eröffnen, um bei den Angeboten an der Leichtathletikbasis die maximale Attraktivität und Effizienz zu gewährleisten. Das Erfolgsmodell „Leichtathletik in der Schule“ kann hier als Vorbild und Beispiel dienen. Darüber hinaus muss auch die Leistungssportförderung auf den Verein hin ausgerichtet sein. Wir wollen keinen Leistungssport, der sich in einige wenige Leistungszentren zurückzieht. Wir wollen eine Leistungssportförderung, die dezentral und differenziert individuell erfolgt, d.h. das vorhandene Umfeld des talentierten Athleten muss in die Lage versetzt werden, auch Hochleistungssport anzubieten. Der DLV hat nach dem katastrophalen Abschneiden bei den Olympischen 2004 Spielen seine Philosophie der Leistungssportförderung verändert und eine grundsätzlich dezentrale und individuelle Ausrichtung vorgenommen. Und der Erfolg gibt uns Recht. Deshalb stehen wir den Versuchen  einiger Olympiastützpunkte, die Inhalte der Leistungssportförderung selbst zu bestimmen oder gar die Förderung von Athleten von einer Verlagerung des Wohnsitzes des Athleten an den Standort des Olympiastützpunktes abhängig machen, nicht nur mehr als ablehnend gegenüber; wir fordern hier vielmehr vom DOSB eine klare Neuorganisation, an deren Ende die Olympiastützpunkte wieder eindeutig Dienstleister für die Fachverbände und nicht umgekehrt sind
  3. Die Kinder – und Jugendleichtathletik muss ein zentrales Anliegen unserer Sportförderung sein
    Die Kongresse zur Kinder– und Jugendleichtathletik haben wichtige und neue Ansätze vorgestellt, mit denen wir Kinder  und Jugendliche für unsere Sportart begeistern können. Insbesondere die best practice Beispiele auf dem diesjährigen Kongress haben für mich eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie mit Kreativität und Phantasie Leichtathletik auch in einer Zeit der  Computer– und Videospiele Kinder und Jugendliche für Bewegung und sportliches Leistungsdenken motivieren kann. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen auch die neuen Formen der Wettkampfleichtathletik für Kinder ans Herz legen. Ich weiß, dass sich noch nicht alle für diese neuen Formen begeistern konnten. Aber ich habe so viele positive und begeisterte Reaktionen von Kinder, Eltern und Übungsleitern erhalten, dass ich fest davon überzeugt bin, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind.
  4. Die neuen Strukturen der Schulorganisation sind eine große Chance für uns
    Wenn wir an die Situation an den Schulen denken, dann werden wir vermutlich erst mal gemeinsam – wie eingangs ausgeführt – den Bedeutungsverlust der Leichtathletik im Schulsport bedauern. Aber bedauern ist einfach zu wenig und hilft uns nicht wirklich weiter. Wir müssen die neue Situation an den Schulen, insbesondere die zunehmende Entwicklung zur Ganztagesschule, als Chance für uns sehen. Wir müssen mit unseren Vereinen in die Schulen gehen und dort Sportangebote unterbreiten. Auch die Einführung von Talent Scouts –also von Vertretern des Vereins -, die an die Schulen gehen, dort nach Talenten für die Leichtathletik suchen und Kontakte zu den Leichtathletikvereinen herstellen, wären ein spannender Weg, um wieder Schule und Leichtathletik enger zu verzahnen. Ich sehe, dass andere Sportarten – wie z. B. Tennis – mit großem Erfolg Kooperationen vor Ort mit den Schulen eingehen. Dies können wir auch. Und wenn wir es noch schaffen, schulspezifische Wettkampfformen – z. B. Vergleichswettkämpfe zwischen örtlichen Schulen zu organisieren – dann können wir es sogar noch besser. Das Entscheidende dabei ist: die Initiative muss von unserer Seite kommen, und sie kann nur auf der regionalen Basis mit Erfolg kommen. Lassen Sie uns diese Chance auf der Ebene  der Schulen nutzen!
  5. Unsere Strukturen müssen den Bedürfnissen der Zeit angepasst werden
    Die Strukturen der organisierten Leichtathletik stammen in einigen Teilen aus einer weit zurückliegenden Zeit. Wenn wir ehrlich sind und die Effizienz der Strukturen kritisch betrachten, dann werden wir feststellen, dass klarere und einfachere Strukturen Entscheidungswege verkürzen, den Personalbedarf verringern und auch die finanziellen Aufwendungen der Selbstverwaltung reduzieren. Ich weiß aus langjähriger Erfahrung beim DLV, dass nichts schwieriger ist, als ein bestehendes Gremium zu verändern oder gar aufzulösen. Aber veränderte Zeiten sind eben auch veränderte Rahmenbedingungen, moderne Kommunikationsmittel können auch die Formen der Entscheidungsfindung bei Verbänden vereinfachen und nicht jede Form der Regionalstruktur erweist sich dauerhaft als sinnvoll. Gerade bei einer auf Ehrenamtlichkeit aufgebauten Sportart sind die personellen und finanziellen Ressourcen äußerst sensible Faktoren. Lassen Sie uns hier mutig überholte Strukturen verändern.
  6. Struktur und Präsentation unser Wettkämpfe muss sich verändern
    Gerade in letzter Zeit haben wir einige wichtige Wettkampfveranstaltungen in Deutschland verloren. Nachdem bei einigen Verlusten die Ursache im persönlichen Verantwortungsbereich des Veranstalters zu suchen ist und bereits  neue Interessenten zur Verfügung stehen bin ich optimistisch, dass wir hier weitgehend Lösungen für die Zukunft finden. Generell wird auch künftig der Schwerpunkt unserer Wettkämpfe im Stadion stattfinden. Damit sollten wir uns aber nicht zufrieden geben. Wir haben hervorragende Erfahrungen mit Veranstaltungen auch außerhalb der Stadien gemacht. Ich denke hier an Berlin fliegt,  Stabhochsprung – und Kugelstoßwettbewerbe in Stadtzentren oder sogar tief unter Tage. Gerade außerhalb der Stadien kann Leichtathletik eine neue Form der Attraktivität entfalten. Ich möchte deshalb ausdrücklich dazu ermutigen, mit geeigneten Disziplinen in die Städte zu gehen, als eigene Veranstaltungen – sowohl als Wettkämpfe als auch zum Mitmachen vor allem für Kinder und Jugendliche - oder im Rahmen anderer Veranstaltungen wie Stadtfesten usw. dort präsent zu sein. Leichtathletik ist dort nicht nur attraktiv, wenn Athleten mit internationaler Klasse teilnehmen, sondern auch auf der Ebene nationaler oder sogar regionaler Leistungsklasse.  Als DLV beabsichtigen wir, bei der nächsten DM in Ulm Kugelstoßen auf den zentralen Platz der Stadt zu legen; dies ist in gleicher oder sogar umfassenderer Weise auch möglich für andere Meisterschaften. Auf diese Weise können Leichtathletikveranstaltungen eine noch deutlich höhere Attraktivität für Städte und Veranstalter entwickeln und wir können gerade für Meisterschaften aller Art völlig neue Kooperationen mit Städten und Gemeinden eingehen.
  7. Wir müssen über neue Formen der Mitgliedschaft nachdenken
    Seit vielen, vielen Jahren stellt die Verselbstständigung der Laufbewegung ein Ärgernis für uns da, weil sich hier eine Leichtathletikszene neben unserer organisierten Leichtathletik entwickelt hat. Es sind einige Schritte unternommen worden wie die Internetplattform laufen.de, um diese Szene wieder stärker an uns zu binden. Aber dies genügt nicht. Allein das Potential der klassischen Laufbewegung ist schon gewaltig. Aber gerade in letzter Zeit kommt hier noch der gesamte Bereich des Firmen – und Behördensports hinzu, da hier die Notwendigkeit des Gesundheitsmanagements eine immer größere Rolle spielt. Wenn wir unser Selbstverständnis von einer Sportart im Lebenskreis  ernst nehmen müssen wir uns auch verstärkt um diese Bereiche kümmern. Natürlich weiß ich um die Probleme, diese Bereiche an uns zu binden, vor allem weil unsere klassische Struktur der Vereinsmitgliedschaft hier wenig Anreize bietet. Deshalb müssen wir nicht nur neue Kooperationen in diesem Segment des Gesundheitssports eingehen, sondern auch über neue Formen der Mitgliedschaft nachdenken. Diese neue Mitgliedschaften sollten sich nicht an einer Integration in ein Vereinsleben orientieren, sondern vielmehr an den Interessen der angestrebten Mitglieder orientieren, also den Servicegedanken in den Vordergrund rücken und auch in zeitlicher Hinsicht befristet und zeitlich flexibel sein. Aber auch hier gilt: die Initiative muss von uns ausgehen!
  8. Der Leistungssport muss ethisch verantwortbar sein
    Gerade die Diskussionen in der letzten Zeit haben uns eindringlich vor Augen geführt, wie wichtig die Glaubwürdigkeit im Sport ist, die Glaubwürdigkeit der erbrachten Leistungen. Wie sollen wir junge Menschen für einen Sport begeistern, wenn am Ende der Erfolg im Wettkampf nicht über Talent und Training, sondern nur über leistungssteigernde Mittel und Methoden erreicht werden kann? Und wie könnten wir einen Hochleistungssport verantworten, wenn wir damit verbunden  Athleten zu Risiken motivieren, die zu schwersten körperlichen Schäden oder gar dem Tod führen? Ganz zu schweigen, dass wir damit die Grundphilosophie von der Chancengleichheit und damit auch unsere Existenzberechtigung aufgeben würden. Wir müssen deshalb mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gegen Doping in Deutschland und außerhalb kämpfen. Deshalb fordern wir, dass zunächst die finanzielle Ausstattung der NADA verbessert wird. Es ist eine Schande, dass in einem so reichen und sportbegeisterten Land wie Deutschland die NADA vor wenigen Tagen bekannt geben musste, dass die Finanzierung für das kommende Jahr nicht gesichert ist. Hier sind neben der Bundesregierung auch die Landesregierungen gefordert, die bislang – mit wohl nur einer Ausnahme – sich hier völlig verweigern. Es ist schlichtweg unverständlich, dass die Bedeutung des Sports zum festen Redeninhalt unserer Spitzenpolitiker zählt, aber die vergleichsweise geringen Mittel zur soliden Finanzierung der NADA nicht aufgebracht werden. Aber auch der Sport ist gefordert, weil er von dem Ziel der Arbeit der NADA – Glaubwürdigkeit der sportlichen Leistungen – mit Abstand am meisten profitiert. Der Sport kann sich deshalb nach meinem Verständnis in Notzeiten der NADA nicht darauf zurückziehen, dass er mit der Bezahlung von Kontrollen seinen finanziellen Beitrag bereits ausreichend  leistet. Ich will daher an dieser Stelle nicht verhehlen, dass ich noch heute Unverständnis für die Entscheidung der DOSB-Mitgliederversammlung 2012 habe, nicht einmal einen geringen Teil des Jahresüberschusses der NADA zur Verfügung zu stellen. Die NADA kann aber den Kampf um die Glaubwürdigkeit des Sports nicht alleine gewinnen, denn alleine mit Blut- und Urin-Kontrollen bei Sportlern kann man ein kriminelles Geflecht nicht aufdecken. Wir brauchen die Hilfe des Staates, wir brauchen ein Anti-Doping Gesetz in Deutschland. Wir brauchen es, um eine höchstmögliche Glaubwürdigkeit des Sports wieder herzustellen und auch weiterhin für junge Menschen attraktiv zu sein. Und bei dieser Forderung sollten wir uns nicht durch das immer wieder vorgetragene Argument der angeblichen Unvereinbarkeit von Sportgerichtsbarkeit und staatlicher Strafverfolgung beirren lassen. Ohne hier näher auf die juristischen Irrtümer einer solchen Argumentation einzugehen: wir haben dieses Nebeneinander von Sportgerichtsbarkeit und staatlicher Strafverfolgung bereits bei den Betäubungsmitteln, die auch unter das Dopingverbot fallen, und die Erfahrungen von vielen Jahren zeigen, dass es völlig problemlos funktioniert.


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe versucht, einige Beispiele aufzuführen, wo wir im Aufbruch sind und diesen Aufbruch fortsetzen müssen. Die Beispiele zeigen aber auch, dass die Situation der Leichtathletik nicht einfach ist und die Organisation unserer Sportart einen stetig dynamischen Prozess erfordert. Wir kämpfen mit vielen Problemen oder besser gesagt mit Herausforderungen. Aber wir sind im Aufbruch, wir hüten mit unserer Sportart einen Schatz und wir haben gerade jetzt mit unseren international erfolgreichen Sportlern Vorbilder und Idole. Die Erfolge der letzten Jahre zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind. Lassen sie uns den Aufbruch  gemeinsam fortsetzen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.